Im Jahr 495 nach Christus kam der indische Mönch BaTuo auf Einladung des Kaisers Hsiaowen nach China um die indischen Sutren, die Weisheiten des Buddhismus, ins Chinesische zu übersetzen. Der Kaiser schenkte ihm inmitten von China ein Stück Land von magischer Schönheit und mystischer Kraft am Fuße des mächtigen Song-Shan-Berges. Hier errichtete BaTuo einen Klostertempel und nannte ihn ,,Shaolin", was so viel heißt wie ,,bewaldeter Hügel" (Junger Wald).
Der heilige Berg Song Shan nimmt unter den Kraftplätzen Chinas eine Sonderstellung ein. Das Felsmassiv mit seinen unzähligen Gipfeln war Tausende Jahre lang Anziehungspunkt und Heimstätte für Wissenschaftler, Philosophen und Religionsgründer. Fünf heilige Berge kennt die chinesische Mythologie. Zieht man vom nördlichsten der Berge, dem Heng Shan eine gedachte Linie zum südlichen Hen Shan und kreuzt diese mit der Verbindung des westlichen Hua Shan zum östlichen Tai Shan, so liegt genau am Schnittpunkt der Berge der Song Shan - Chinas heiligster Berg. 1.500 Meter hoch ragen seine bizzaren Felsformationen in den Himmel, seine Gipfel tragen die fantasievollsten Nahmen. Da Berge nach chinesischem Verständnis heilige Orte sind, mystische Stätten, die die Verbindung zum Himmel darstellen die als Pforten ins Jenseits gelten, ist es nicht verwunderlich, das im Laufe der Jahrhunderte nicht weniger als 72 Klöster, Tempel und Kultstätten am Fuße und an den Ausläufen des riesigen Song-Shan-Bergmassivs entstanden. Viele von ihnen sind im Laufe der Geschichte verfallen, einige jedoch wurden in alter Schönheit und neuem Glanz wiederhergestellt.
Hierher, an den Song Shan, dieser Kraftplatz, kam 30 Jahre nach Gründung des Tempels Bodhidharma, den die Chinesen Pu-Ti- Da-Mo (Kurtz: Da Mo) nannten, reformierte die Buddhistische Lehre und erfand mit Kung Fu eine neue Kampfkunst. Durch ihn erlangte der Tempel über viele Jahrhunderte religiöse und politische Bedeutung als Zentrum spiritueller und körperlicher Energie. Das Leben im Kloster widmete sich der Kräftigung des Köpers durch die Reinigung des Geistes; eine Ausbildung der Schnellkraft, eine allgemeine Kräftigung des Organismus und eine immerwährende Verfeinerung der Technik stand im Mittelpunkt.
Zur Hochblüte des Klosters, um 700 nach Christus, lebten nicht weniger als 1.500 Mönche im Tempel, bewirtschafteten das Land und praktizierten Shaolin Kung Fu in höchster Vollendung. Basierend auf der Wushu-Tradition Chinas hatte Da Mo mehr als 70 Formen des Shaolin-Faustkampfes kreiert, die später auf 173 erweitert wurden. Dabei vereinen sich ,, Harte" und ,, Weiche" Aspekte der Kampftechnik. Die Kraft wird spontan und elastisch eingesetzt, die äußere Schnelligkeit der Bewegung entspricht innerer Ruhe. ,,In der Verteidigung wie eine Jungfrau, im Angriff wie ein Tiger ", so beschreiben es die alten Schriften des Klosters.
Doch war es nicht vorrangiges Ziel, eine neue Kampfform zu entwickeln, sondern bereits bekannte Techniken mit der von Da Mo gelebten Philosophie und Bewegungslehre zu vereinen: Die Ablehnung von Aggression ließ die Mönche zunächst den Schlag des Gegners abwehren, um danach den entscheidenden Schlag anzubringen. Bei starken Gegnern wurde auf schmerzhafte Punkte gezielt, so war zum Beispiel das Packen des kleinen Fingers oft wirkungsvoller als ein Beinschlag. Geistige und körperliche Konzentration wurden vorausgesetzt: Besonders wichtig war es, die günstigste Position einzunehmen und rechtzeitig zu reagieren. Verteidigung und Angriff wurden erst gesetzt, wenn dazu Notwendigkeit bestand. Der Kampf wurde nie um des Kampfeswillen durchgeführt, sondern, vor allem beim Training, als Fortsetzung der religiösen Praxis betrachtet, als eine Art aktiver Meditation.